Wie ist die Lage?

Nicht toll. Aber es sind auch schlimme, außergewöhnlich schlimme Zeiten. Wer hat jemals so etwas erlebt? Es ist eine schwere Belastungsprobe, privat und als Gemeinschaft. Schwierig, denn wir müssen äußerst diszipliniert sein, gerade mit uns selbst. Wir erfahren aus Italien, Frankreich und Spanien, welche Qualen der Seele Angehörige und Trauernde durchleben müssen, wie die Hilfskräfte verzweifeln. Die Nachrichten sind schwer zu ertragen und deprimierend.

Unsere Krisenmanager und -bewältiger in der Politik und in den sogenannten systemrelevanten Berufen machen gute Arbeit, oft über die Grenzen der eigenen Belastbarkeit hinaus. Andere sind zur Untätigkeit gezwungen, verbringen die Zeit mit ihren Kindern auf engem Raum oder sind gestresst durch die Umstellung auf digitales Arbeiten von zu Hause. Zeitenwende bis in die kleinsten Bereiche unseres Alltags. Viele, mit denen ich telefoniere oder schreibe, fühlen sich hilflos, ratlos, schwach. Aber warum sollten wir erwarten, dass wir immer alles können und alles regeln und schaffen und immer einen guten Plan auf Lager haben? Wir wissen einfach nicht. Wir leben von heute auf morgen. Allen geht es so. Auch den Politikern, die jetzt aus der Unsicherheit heraus klare Ansagen machen müssen. 

Bei einem Spaziergang in Memmingen oder beim Einkaufen erlebt man seltsame Momente. Man begegnet Bekannten, schaut sich scheu an, lächelt, geht aufeinander zu, dreht sich wieder weg und geht auf Abstand. Nähe täte jetzt so gut. Ein Handschlag, eine Umarmung, eine Einladung… das fehlt sehr. Wie lange geht das noch? Was müssen wir noch hinnehmen und aushalten? Haben wir genug Disziplin und Strenge mit uns selbst? Wie ist es mit der Strenge gegenüber anderen, den Kindern, den Alten? Wie wird es uns gehen, wenn wir infiziert werden? Wir wissen es nicht. Niemand weiß es. Wir sind zu einer Gemeinschaft aus Hilflosen und Ratlosen geworden.

Diese Situation bringt uns in die Nähe des Bildes von der Kreuzigung Jesu in unserer Kirche. Die Lage für Jesus: aussichtslos. Die Menschen unter dem Kreuz: verzweifelt. Gottes Sohn in hoffnungsloser Lage, seine Schmerzen und sein Sterben unausweichlich. Wie kann Gott sein Liebstes, wie kann er mit Jesus sich selbst in so eine Lage bringen? Wie konnte er so weit gehen und es so weit kommen lassen? 

Jedes Jahr am Karfreitag kommen wir bis zu dieser Frage, warum Gott das Leid zulassen kann, und scheitern jedes Mal an einer Antwort. 

Und jedes Mal überrascht und begeistert mich die Wende am Ostermorgen. Gott hat sich auf die Seite des schwachen, verzweifelten und gescheiterten Menschen gestellt und ihn ins Recht gesetzt. Seine Liebe, seine schwache Seite ist stärker als der Tod. 

Ich verstehe das in diesen Tagen so: Wir müssen nicht stark sein, auch nicht überlegen. Wir müssen nicht wissen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott uns durch die Krise zum Leben führt.

W.L.