Pünktlich zu spät

Pünktlich zur Urlaubszeit sorgen die Staus auf A7 und 96 wieder für Frust. Blöd, wenn man eigentlich nur zu einer Verabredung von Memmingerberg nach Mindelheim oder nach Buxheim wollte und über die Autobahn gefahren ist. Direkt nach Erreichen des Stauendes wird heftig telefoniert. In den Gesichtern spiegelt sich Frust und Trost. Frust und Trost sind zwei Geschwister, die sich gut vertragen. Zu den frustrierenden Erlebnissen gehört das Ankündigen von Verspätungen und Verzögerungen. Tröstlich ist, wenn der andere sagt: „Macht nichts, fahr vorsichtig.“

Erst seitdem der Mensch beschleunigt lebt und ständig Gas gibt, kann er zu spät kommen. In Papua Neuguinea sagt man, wenn einer sich sehr beeilen soll: “givim sixty!”- “gib 60”; sixty miles, das sind etwa 100 kmh. Da lachen wir nur. Und kommen doch zu spät.

Wer dieses Jahr außerhalb der Beschleunigungszonen Urlaub macht, etwa in den Bergen oder gar in einem afrikanischen Land, der kann eine fast vergessene und ungewöhnliche Erfahrung machen: Es gibt Gegenden, da kommt man zur rechten oder zur falschen Zeit, aber nicht zu spät. Es gibt Gegenden, da ist Zeit nicht knapp und jeder nimmt sich unbekümmert soviel notwendig ist. 

Nur in den “entwickelten” Gegenden gehört das Zuspätkommen zur Normalität des Alltagslebens. Je schneller wir werden – umso weniger gelingt es uns, pünktlich und mit ganzem Herzen da zu sein. Unsere mit viel Aufwand anerzogene Pünktlichkeitsmoral sorgt dann für das schlechte Gewissen beim Zuspätkommen. Aber technische Entlastung ist – wie immer – in Sicht: Auf allen Bahnhöfen hängt eine Anzeigetafel, die uns über die zu erwartenden Verspätungen minutengenau informiert. Die Ankündigung soll beruhigen und trösten, obgleich sich natürlich an der Sache, dass der erwartete Zug zu spät ist, überhaupt nichts ändert. Von Mensch zu Mensch hat WhatsApp diese trostreiche Funktion übernommen. Pünktlich kündigen wir unsere Verspätungen an und befreien uns vom Vorwurf, unzuverlässig zu sein.

Seit es Handy und “dynamische Fahrgastinformationen” gibt, sind Verspätungen nicht mehr länger ein Problem. Trotzdem steigt der Frust. Denn eine Verspätung muß berechnet, pünktlich eingehalten und vor allem kommuniziert werden. “Komm, wann du willst, aber sag pünktlich Bescheid”, lautet die Devise. Einfacher und erfreulicher wird das Leben dadurch nicht. Man sagt dann Sätze wie: “Ich konnte Sie nicht erreichen!” und schiebt damit dem Wartenden die unpünktlich eingehaltene Verspätung in die Schuhe. 

Wir tun uns schwer mit dem Schnellleben. Und seien wir ehrlich: Oft tun wir nichts, aber wir tun es trotzdem in Eile. Es geht allen so. Das ist ein Trost. Nur in seltenen Augenblicken spürt man: Die Zeit steht still in Gottes Hand. Unsere Kirchturmuhr hat es kürzlich ausprobiert. Einige Tage verweigerte sie ihren Dienst, bleib einfach immer wieder stehen und hat sich erlaubt, Urlaub vom Dienst zu nehmen.  Im Urlaub haben wir die Erlaubnis, diesen wohltuenden Stillstand der Zeit in Gottes Hand zu erleben. Tun wirs.