Unterbrechung

 

“Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.” (Astrid Lindgren) Einfach da sitzen und vor sich hinschauen? Wenn sich mir mal die Gelegenheit böte, im Café oder im Zug oder im Wartezimmer, dann glotze ich wie die anderen auch aufs Handy. Lass es, nimm dir Zeit, einfach da zu sitzen. Auch wenn das Amazon, facebook und Google gar nicht freut in ihrem Kampf um jede Sekunde unserer Aufmerksamkeit. Zieh ihnen den Stecker. Wann, wenn nicht jetzt: Zwischen den Jahren. In diesem Streifen Niemandszeit, nur gerade mal ein paar Tage lang. Du weißt, spätestens am Montag, 8.1. wird es da weitergehen, wo es vor den Feiertagen aufgehört hat, das alltägliche Leben. Aber jetzt steht die Zeit einen winzigen Moment still. Die Zeit zwischen den Jahren.

Es sind nur wenige Tage und Stunden, bevor uns das neue Jahr wieder überholt haben wird. 2018 hat uns bald voll im Griff. Es ist wie es ist, und auch 2018 eilt vorüber. 

Der an Weihnachten auf die Welt gekommen ist, eilt nicht vorüber. Gottes Liebe möchte bei uns sein und bleiben. Mit Hoffnung, mit Freude, mit Wegweisung, mit Gelassenheit. Gottes Liebe will Raum in uns gewinnen. Sie unterbricht alles, was sonst um unsere Aufmerksamkeit ringt.

“Unterbrechung.” Das ist die kürzeste Definition für Religion.

Die Zeit zwischen den Jahren möchte ich für eine geistliche Übung nutzen: mich unterbrechen lassen und die eingeschliffenen Handlungs- und Lebensmuster – wenigstens einen Augenblick – außer Kraft setzen. 

Mich unterbrechen lassen: Zugang zu den eigenen, den inneren Räumen suchen und nicht nur ein weiteres Fenster im Netz öffnen. Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor mich hin zu schauen. Mich dem Bann des medialen Datenflusses entziehen. Aufmerksamkeit verweigern und meine Wahrnehmung fürs Wesentliche schärfen. Nichts wollen. Auch keine frommen Gefühle. Sondern, mit einer Gedichtzeile von Hilde Domin: „dem Wunder wie einem Vogel die Hand hinhalten.“

Ich wünsche uns ein gesegnetes Neues Jahr 2018 mit vielen heilsamen Unterbrechungen.
Ihr Wolfgang Ludwig